Entstehung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind Überlebende der NS-Verfolgungs- und Mord­politik besonders auf Hilfe angewiesen. Der Berliner Magistrat unterstützt zunächst vor allem Menschen, die aktiv Widerstand geleistet hatten, später kommen Angehörige der Jüdischen Gemeinde hinzu. Eine andere Gruppe erhält zunächst keine Unterstützung: Die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 als „nichtarische Christen“ oder „Mischlinge“ Ausge­grenzten. Zur Selbsthilfe gründen sie im Juni 1946 im britischen Sektor Berlins den „Verband der Opfer der Nürnberger Gesetze“ (OdN). Die Wurzeln des Verbandes reichen zurück bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Das Gründungs­protokoll trägt den Untertitel „vormals Vereinigung 37“ – die Organisation hatte unter der NS-Diktatur die Interessen von „rassisch“ Verfolgten vertreten, die nicht der Jüdischen Gemeinde angehörten.

Die Gründung des Verbandes

Bei dem Dokument handelt es sich um den ersten Aufruf des "Verbandes der Opfer der Nürnberger Gesetze" vom Sommer 1946. Es richtet sich an alle ehemaligen Mit­glieder der “Vereini­gung 1937” und informiert über die Gründung des Verbandes.

 Der Vorstand der OdN-Orgnisation kündigt an, er werde sich für „ein tieferes Verständ­nis für die Probleme der Rasseverfolgten“ und für die Beschleunigung der „Wieder­gut­machung“ einsetzen. Die Initiative des neuen Verbandes stößt bei zahlreichen Betroffenen auf reges Interesse. 

„Als sich die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges in der Viersektorenstadt Berlin wieder so weit aus den Ruinen herausgearbeitet hatten, daß sie sich nach Freunden und Bekannten umsehen konnten, fanden sich einiger dieser ehemals Rasseverfolgten in meiner Buchhandlung in Neu-Westend ein, und wir beschlossen, den „Verband der Opfer der Nürnberger Gesetze“ zu gründen.“

Hans Faust, Erinnerungen an den Vorläufer des BVN,
Die Mahnung, 1. September 1983 

Erste Auftritte in der Öffentlichkeit

Am 13. September 1947 wird der Gedenktag für die „Opfer des Faschismus“ (OdF) erstmals deutschland­weit begangen. Ausge­richtet werden die Veranstaltungen von der „Vereini­gung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). In der Viersektorenstadt Berlin, wo die VVN noch nicht existiert, übernehmen lokale OdF-Ausschüsse die Durch­führung. Das Foto zeigt die Feierlich­keiten in Charlottenburg, an denen auch der „Verband der Opfer der Nürnberger Gesetze“ teilnimmt. Eine Lizenz für alle vier Sektoren erhält der OdN schließlich im November 1947, zeitgleich genehmigen die Alliierten die Berliner VVN. 

Mediales Interesse

Der OdN hat 1947/1948 Mitglieder in allen Teilen Berlins. Besonderen Zuspruch erhält er von den Alliierten in den westlichen Sektoren. Mit ihrer Unterstützung kann er seine Bekannt­heit ausbauen. Hilfe leistet dabei unter anderem der von der US-Amerikanischen Militär­verwaltung gegründete Radiosender RIAS (Rundfunkt im amerikanischen Sektor).

Im Zuge der Auseinandersetzungen des Kalten Krieges grenzt sich der OdN immer deutlicher von der Sowjeti­schen Besatzungs­macht ab. Anlässlich seines einjährigen Bestehens ver­urteilt er scharf „neue Konzentrationslager“ in der östlichen Besatzungszone. Zudem distan­ziert sich der OdN in verschie­denen Zeitungs­artikeln entschieden von der VVN, die zu­neh­mend auf die SED ausgerichtet ist.

Werner A. Zehden

2. Mai 1911 – 28. September 1991

Werner Alfred Zehden gehört zu den prägen­den Persönlichkeiten des OdN/BVN. Als Sohn eines jüdischen Patent­anwaltes erlebt er als sogenannter „Halbjude“ die NS-Zeit unter zahlreichen Diskrimi­nierungen und Bedro­hungen. Ende 1944 wird er zur „Organisation Todt“ zwangs­verpflichtet. Als sich 1946 der Verband OdN gründet, sind daran mehrere Personen beteiligt, mit denen Werner A. Zehden seit der NS-Zeit in der „Vereinigung 1937“ und der OT-Zwangs­arbeit verbunden ist. Er engagiert sich früh im Verband, 1947 wird er Vorsitzender des OdN.

In den frühen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges repräsentiert Werner A. Zehden mit politischem Gespür und Geschick den Verband in der Öffentlichkeit. Durch sein Amt als Bezirks­bürger­meister von Steglitz ist er in Berlin spätestens seit 1951 eine bekannte Persön­lichkeit. Mehrfach spricht er sich scharf gegen die Sowjetische Besatzungs­macht und die Politik der SED aus. Unter Zehdens Füh­rung wird der OdN zum BVN-Landesverband und entwickelt sich zur maßgeblichen West-Berliner Verfolgten­organisation, die auch in Westdeutschland Anerkennung findet.

Neue Namen

Im Jahr 1948 öffnet sich der OdN für An­gehörige der Jüdischen Gemeinde und kündigt die Aufnahme von ehemals politisch Verfolgten an. Diesen Schritt geht der Verband, so die Erklärung, um vormaligen VVN-Angehörigen eine überparteiliche Alternative zu bieten.

Im Frühjahr 1949 beschließen die OdN-Mitglieder, ihre Organisation in „Verband der Opfer des National­sozialis­mus“ umzube­nennen. Als sich im Frühjahr 1950 in der Bundesrepublik der „Bund der Verfolg­ten des Naziregimes“ in Abgrenzung zur VVN gründet, schließt er sich diesem als Berliner Landesverband an. 

Großveranstaltung am Gedenktag

Im September 1950 organisiert der west­deutsche BVN in der gesamten Bundes­republik einen „Gedenktag gegen die Un­menschlichkeit“. Der BVN-Landes­verband Berlin – vormals OdN – schließt sich dieser Kampagne an und richtet eine Veran­staltung im Titania-Palast in Steglitz aus. Es ist der erste große Auftritt des BVN-Berlin in der Öffentlichkeit unter seinem neuen Namen. Die Veranstaltung erregt große Auf­merk­samkeit. Zu den Rednern zählen führende Vertreter des BVN aus West­deutschland. Zahlreiche Gäste aus der West-Berliner Politik, unter ihnen Bürgermeister Ernst Reuter, nehmen daran teil.

Frühe Publikationen

Auf der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 und mehreren Folgebesprechungen hatten hohe Vertreter des NS-Staates da­rüber beraten, wie bei der „Endlösung der Judenfrage“ mit den sogenannten „Misch­lingen“ umzugehen sei. Da sie keine Eini­gung erzielten, waren diese Personen vorerst von der Deportation ausgenommen - vielen Mitgliedern des späteren OdN/BVN rettete dieser Umstand das Leben. 

Die Jugendgruppe des BVN-Berlin will auf dieses Schicksal der „Mischlinge“ hinweisen. Sie schlägt dem Vorstand eine Publikation der Sitzungsprotokolle vor. Die Bundes­leitung bringt 1952 eine Broschüre heraus, in der erstmals das Protokoll der „Wannsee-Konferenz“ in der Bundesrepublik veröffent­licht wird.

Jahrzehnte später kümmert sich die Gedenk­stätte Yad Vashem in Israel um eine Neuauflage der Broschüre. Diese enthält allerdings nur noch das Protokoll der Wannsee-Konferenz.