Mahnmal
An der nordöstlichen Ecke des Steinplatzes in Berlin-Charlottenburg steht seit 1953 ein schlichtes Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Es ist das erste Denkmal im Stadtzentrum West-Berlins für die Opfer des NS-Regimes. Finanziert und errichtet wird es vom BVN, dessen Mitglieder über Jahrzehnte an diesem Ort für Gedenkfeiern zusammenkommen.
Wegen des Mahnmals hat der Steinplatz große repräsentative Bedeutung für West-Berlin. Für viele Überlebende der Verfolgung ist es ein Ort des stillen Gedenkens an die ermordeten Angehörigen, die keine Grabstätten haben. Mehrfach wird der Gedenkort aber auch Ziel von Zerstörungen und antisemitischen Anschlägen.
Planungen
Die Idee zur Errichtung des Gedenkortes entsteht im BVN im Frühjahr 1953. Mit der Umsetzung wird der Architekt Josef M. Lellek beauftragt. Er ist seit vielen Jahren Mitglied des Verbandes.
Das Mahnmal soll aus Steinen der Ruine der Synagoge Fasanenstraße gebaut werden, die im November 1938 zerstört wurde. Es trägt in der Mitte den Schriftzug „Den Opfern des Nationalsozialismus“. Darunter informieren wenige Zeilen über die Herkunft: „Errichtet aus Steinen der durch Rassenwahn verwüsteten Synagoge Fasanenstraße“.
Den abgebildeten Bauplan legt Josef M. Lellek dem Bezirksamt Charlottenburg zur Genehmigung im Oktober 1953 vor.
Einweihung
Die Einweihung findet am Abend des 9. November 1953 statt. Der Vorsitzende des BVN Werner A. Zehden und der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg Ottomar Batzel (CDU) halten Ansprachen. Als besonderer Gast wird Heinz Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde begrüßt.
Im Schein von Fackeln werden Kränze und Sträuße niedergelegt, der Chor der Jüdischen Gemeinde begleitete die Zeremonie. Die Bilderserie gibt einen Eindruck von der Einweihungsfeier, für die zahlreiche BVN-Mitglieder zum Steinplatz gekommen sind.
Winkel-Symbol
1954 lässt der BVN über der Widmung für die NS-Opfer ein auf der Spitze stehendes Dreieck mit den Buchstaben „KZ“ anbringen. Mit dem Winkel soll das Mahnmal noch stärker alle politisch, „rassisch“ und religiös Verfolgten repräsentieren.
Das Angebot der Firma “Bronzen-Gunkel” trägt die Bezeichnung „Bronzegußemblem ODF“. Tatsächlich stammt das Symbol aus den frühen Nachkriegsjahren und ist auf vielen Gedenkfeiern und Denkmälern dieser Zeit für die „Opfer des Faschismus“ (ODF) zu sehen.
Aufmerksamkeit
Zur Jahreswende 1959/1960 erschütterte die sogenannte „Hakenkreuzschmierwelle“ die Bundesrepublik und West-Berlin. Auf dem Steinplatz finden daraufhin verschiedene Protest-Veranstaltungen gegen Antisemitismus statt.
Am 30. Januar 1960 besucht Bundespräsident Heinrich Lübke während eines West-Berlin-Aufenthaltes den Steinplatz und legt am Mahnmal für die „Opfer des Nationalsozialismus“ sowie am gegenüberliegenden Gedenkstein für die „Opfer des Stalinismus“ Kränze nieder.
Nach 1960 finden viele offizielle Gedenkveranstaltungen nicht mehr auf dem Steinplatz, sondern im neuen Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße statt.
Josef M. Lellek
28. September 1893 – 14. April 1965
Josef Michael Lellek stammt aus einer katholischen Familie aus Oberschlesien. In den 1920er und 1930er Jahren arbeitet er als Bauingenieur und Architekt im polnischen Katowice. Seine Ehefrau Rosa gehört der Jüdischen Gemeinde an, ihr gemeinsamer Sohn Walter wird christlich getauft.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzung beginnen für die Familie zahlreiche Schikanen und Diskriminierungen. Aufgrund seiner Ehe mit einer „Nicht-Arierin“ gilt Josef M. Lellek als „jüdisch versippt“. Er verliert seine Arbeit, ab Oktober 1944 muss er Zwangsarbeit für die „Organisation Todt“ leisten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg leben Josef M. Lellek und seine Frau in Berlin-Charlottenburg. Er arbeitet wieder als Architekt und wird Mitglied im BVN. 1953 ist er maßgeblich für den Bau des Mahnmals auf dem Steinplatz verantwortlich. Beim Neubau des 1959 eingeweihten Jüdischen Gemeindehauses in der Fasanenstraße fungiert er als Kontaktarchitekt zwischen der Gemeinde und dem Senat. Von Josef M. Lellek stammt außerdem das 1960 errichtete Ehrenmal auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße.
Erweiterung und Vandalismus
Nach dem Besuch des Bundespräsidenten erhält der BVN von Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Spende für die Erweiterung des Gedenkortes. Der Vorplatz wird vergrößert und mit Platten sowie Blumenkästen versehen, das Mahnmal selbst erhält ein BVN-Emblem und einen Bronzekranz.
In den folgenden Jahren wird Mahnmal mehrmals beschädigt. Wie auf dem Foto zu erkennen ist, haben Unbekannte zahlreiche bronzene Buchstaben abgerissen.
Die Aufnahme stammt aus einer Berliner Tagezeitung, die im September 1967 über die Vorfälle berichtet. Der BVN startet eine Spendenkampagne, um die Beseitigung der Schäden finanzieren zu können.
Bronzetafeln
Zum besseren Schutz vor Vandalismus werden 1967 die Widmung und die Erklärung zur Herkunft der Steine auf Bronzetafeln angebracht.
Die Wiedereinweihung findet am 9. November 1967 statt. Als besondere Gäste nehmen an der Feier der Charlottenburger Bezirksstadtrat Harry Ristock, Innensenator Kurt Neubauer und der Vorsitzende der Berliner Arbeitsgemeinschafft der Verfolgtenorganisationen Rolf Loewenberg teil.
1968 lässt der BVN zusätzlich die Jahreszahlen „1933 – 1945“ unter dem Winkel anbringen.
Zerstörung
Im Dezember 1973 verüben Neonazis in West-Berlin eine Anschlagserie auf mehrere Denkmäler für Opfer des Nationalsozialismus. Das Mahnmal auf dem Steinplatz wird mit einem großen Hakenkreuz beschmiert und schwer beschädigt. Die Bronzeplatten mit der Widmung und mit dem Hinweis auf die Synagoge in der Fasanenstraße, den Bronzekranz und das BVN-Emblem reißen die unbekannten Täter heraus.
Die Instandsetzungsarbeiten verursachen hohe Kosten und beanspruchen viele Monate. Die in dem Schreiben erwähnte Wiedereinweihung am 20. Juli 1974 muss verschoben werden. Am Ende wird nur noch die Platte mit der Widmung für die NS-Opfer wieder angebracht.
Wiedereinweihung
Am Vormittg des 8. November 1974 begeht der BVN die Einweihung seines wiederhergestellten Mahnmals.
An der Feier nimmt ein Vertreter des Bezirksamtes teil, das den Wiederaufbau unterstützt hat. Eine der Ansprachen hält Bezirksbürgermeister Roman Legien.
Wie auf dem Foto zu erkennen ist, wird die Tafel mit dem Hinweis auf die Steine der Synagoge Fasanenstraße nicht wieder installiert. Der Bronzekranz und das BVN-Emblem fehlen ebenfalls.
Veränderungen über die Jahrzehnte
Die Bilderserie zeigt die Veränderungen des Mahnmals: Nach der Einweihung im November 1953 erfolgen kleinere Anpassungen und Erweiterungen. Im Jahr 1968 sind die Arbeiten abgeschlossen, der komplette Zustand hält allerdings nur wenige Jahre.
Nach dem Neonazis-Anschlag von 1973 werden das BVN-Emblem, der Bronzekranz und das Schild mit der Erklärung über die Herkunft der Steine nicht wieder angebracht.
Bis heute finden sich auf dem Steinplatz keinerlei Hinweise mehr auf die Mahnmal-Steine und die Zerstörung der Synagoge in der Fasanenstraße.